Hartmut T. Reliwette
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Mariella Mehr

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Dr. phil. h.c.
(Jenische) Autorin, Publizistin, lebt in Italien, schreibt u.a. Romane und lyrische Gedichte, Ehrendoktorwürde der Universität Basel, zahlreiche Literaturpreise, vor allem in der Schweiz.

Homepage:
www.mariellamehr.com






Wieder eine Stunde
jeden Inhalts beraubt;
aufs Glatteis geführte
Gedanken an dich,
nichts als Schimären.

Nie schrittst du
sicheren Fußes zu mir,
dein Zögern mandelte jede
Hoffnung ein,
selbst wenn sich ein Wimpernschlag
lang unsere Hände begegneten

Nun schreibe ich, einwärts gekehrt
ins Eis vorm tausendschönen Lachen,
als hätte mein Herz keinen
Tag bei dir geweilt.





Frag nicht,
bestell kein Mahl,
Tote lassen sich nicht bitten,
kosten vom Nimmerleinsnapf
im Himmelszwinger.

Selten findet sich Brauchbares drin,
doch ab und zu eine Straße Licht,
ein Labyrinth, dem auszuweichen
kaum Sinn ergibt.

Zu Schreien gehäuft,
meldet sich Wesen um Wesen,
wir kommen mit ihren Namen
nicht zurecht, nicht mit ihrer Zukunft,
da helfen keine Lieder.

Die Kleider längst zerrissen,
die Trauer der Stille anheim gegeben,
sind wir, was wir sind:

ein vergangenes Lächeln.





Geh, deine Zeit
kennt keine Brüder,

keinen Stern in
keines andern Welt.

Du, mein zu Schanden
gerittener Traum,
mein ahnungsloser Fuß
betritt eine schüchterne Nacht.

Untröstlich dein Schrei,
erstarrt auf dem Weg
zu meinem Planeten;

nur in der Mitte
findet Wahrheit den Hort.

Am Rande der erinnerten Sprache
wartet ein Schweigen,
außerhalb jeder Gefahr
mein Wort.

Oder doch?





Himmel, welch ein Wort,
Sterne, Milchstraßen,
was für Worte.

Leg auf die Worte den Tod,
schon kräht ein Hahn zurück
in die Dunkelkammer Mitsammen.

Klein ist sie, ich weiß,
dümmer als alle Leben,
ein Herz- und Seelengekröse,
kurz nur, und ohne Belang.

Das Libretto des Hohns
erblüht zur Giftbeere,
zum Aronstab.

Kein Später hält uns zusammen,
kein himmelwärts strömender Trost.

Zu viele Worte haben uns belebt,
zu viele zerstört

Aber da ist eines,
beredter als jede Hand,
eine Wahnstiege höher
belassen wir diesen Kometen

glauben, lieben

finden wieder Erde,
Zuversicht.

als wäre das Gestern
nur Traum gewesen:

geträumte Kloake,
zu spät als solche erkannt.


(Alle Texte aus 01/2005)